4.3.2018 – Geht so staatliche Verkehrssicherheitsarbeit? Statt Temposünder einheitlich mit einer Geldstrafe zu erziehen, trifft man Unterscheidungen nach ihrem Herkunftsland: Deutsche Autofahrer bittet man zur Kasse, osteuropäische bleiben verschont. Bußgeldstellen verzichten somit auch auf Einnahmen in Millionenhöhe. Sie müssten nur eine Möglichkeit finden, direkt an der Kontrollstelle abzukassieren.
Deutschland ist im Transitverkehr beliebt bei Autofahrern, die gerne mal Gas geben: Die Strafen für Raser sind relativ niedrig. Geldbußen über 70 Euro vollstreckt zwar zentral das Bundesamt für Justiz, bei einem Delikt mit niedrigerem Verwarnungsgeld gehen die Bußgeldbehörden selbsttätig vor und versuchen in den jeweiligen Herkunftsländern die Beträge einzutreiben. Vornehmlich in Sachsen und Brandenburg bleiben so Temposünder mit polnischen oder tschechischen Kennzeichen ungeschoren. “Sie wissen genau, dass sie nicht verfolgt werden”, sagt Dieter Müller, Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten in Bautzen.
Sein Forschungsprojekt für das Verkehrsministerium stellt fest: Delikte, die in Deutschland ein Verwarnungsgeld nach sich ziehen und von Osteuropäern begangen werden, bleiben häufig straffrei. Trotz dieser Erkenntniss blieb das Projekt beim ehemaligen Verkehrsminister Dobrindt unbeachtet.
Müllers Meinung nach stellen Verkehrsbehörden mehr als zehn Prozent aller Bußgeldforderungen aus unterschiedlichen Gründen ein; in jedem vierten Verfahren gelten die Erfolgsaussichten trotz deutlicher Radarfotos als aussichtslos. “Das sind Hunderttausende Verstöße jährlich, die nicht geahndet werden”, schätzt Dieter Müller, “dem Staat dürften so zweistellige Millionenbeträge entgehen”.
Geblitzte Raser werden mindestens mit einem Frontfoto erfasst und dokumentiert, bei der Bußgeldbehörde prüft und bewertet dann ein Sachbearbeiter die Aufnahme. Ist weder der Fahrer noch das Kennzeichen eindeutig erkennbar, wird es gelöscht. Oftmals auch dann, wenn die Fahrzeuge ein osteuropäisches Nummernschilder haben.
Für die Einziehung von Verwarnungsgeldern in Osteuropa haben die mehr als 500 Bußgeldbehörden keine einheitlichen Vorgaben. Wie das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Az. 6 K 7123/13) feststellte, verzichteten vier von vierzehn befragten Bußgeldstellen im Gerichtsbezirk direkt auf die weitere Verfolgung. Die anderen Behörden erhielten auf ihre Anschreiben nur vereinzelt eine Antwort.
Besser klappt es in Bayern mit mit einer zentralen Austauschstelle. Dort hat die Regierung der Oberpfalz mit Österreich ein Abkommen. Stattdessen versuchen es Bußgeldbehörden weiterhin mit Bescheiden, die zudem für Verkehrssünder in osteuropäischen Staaten oft nicht lesbar sind – in deutscher Sprache.