Düsseldorfs Autofahrer murren: Seit Wochen bleibt die Grüne Welle in den Stadtteilen Eller und Vennhausen aus. Denn für den defekten Verkehrsrechner aus dem Jahr 1978 sind keine Ersatzteile mehr zu haben. Da mehrere Straßenzüge von diesem Zentralrechner abhängig sind, stehen Autofahrer derzeit häufig im Stau. „Investieren sie in neue Verkehrsrechner!“, fordert der ADAC schon seit Jahren, aber ohne großen Erfolg.
Ein Test des ADAC in acht Großstädten auf insgesamt 17 Hauptverkehrsstraßen zeigte, dass es nur auf sieben Durchgangsstraßen relativ zügig voran ging. Und auch Deutschlands Taxiunternehmen bestätigen mit einem Test in den zwölf Fußball-WM-Städten, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit bei gerade mal 23 km/h liegt – in Leipzig nur 15 km/h, in Berlin 25 km/h, in Kaiserslautern „hervorragende“ 30 km/h.
Deutschlands Städte schmücken sich zwar mit der Grünen Welle, die dem Autofahrer innerhalb eines Straßenzuges freie Fahrt gewähren soll, ohne Stau. Aber Straßen mit scheinbar perfekter Welle sind nur so leistungsfähig wie ihre kritischen Punkte: eine Einmündung mit reichlich Verkehr, Radfahrer- und Fußgängerampeln oder Busse und Bahnen, die Vorrecht anfordern. Und in den meisten Fällen kann sie nur in einer Fahrtrichtung zügige Fahrt gewähren: Die Ampeln müssten alle 90 Sekunden grün zeigen und im Abstand von 625 Meter aufgestellt sein, um eine Grüne Welle in beiden Fahrtrichtungen schalten zu können. Solche komplexen Vorgänge sind nur mit einer neuen Rechnergeneration und ausgefeilter Software zu koordinieren.
Stefan Lämmer, Verkehrswissenschaftler an der TU Dresden und Experte auf dem Gebiet „Verkehrssteuerung“ bezweifelt den Nutzen solcher aufwändigen Steuerungen: „Die grünen Wellen sind veraltet und unflexibel, denn sie richten sich nicht nach dem tatsächlichen Verkehr, sondern nach statistischen Mittelwerten, die aus Simulationen resultieren“.
Je nach Verkehrsaufkommen, Höchstgeschwindigkeit und Kreuzungsabständen müssen heutzutage vorhandene Rechnersysteme in neue, übergeordnete Strategierechner integriert werden – inklusive einer neuen komplizierten Software. Die Rechenzeiten für eine Grüne Welle liegen bei fünf bis fünfzehn Minuten. „Warum eine Grünphase abbrechen, wenn noch mehr Autos vor der Ampel warten, als vor fünf Minuten berechnet?“, beklagt Stefan Lämmer. Die gemessenen Daten sollten dort verrechnet werden, wo sie benötigt werden – direkt an der Kreuzung. Die zuerst ankommende Kolonne erhält dann Vorfahrt.
Sein Konzept der „dezentralen Onlinesteuerung“ sieht mehr Halte vor als bei einer grünen Welle, aber dafür weniger Wartezeiten für alle. Lämmer: „Ein Mittelklasseauto konsumiert bei jedem Ampelstopp etwa 0,02 Liter Benzin für Anfahren und Beschleunigen, beim Warten vor der Ampel liegt der Mehrverbrauch bei einem Liter je Stunde“. Sein Steuerungskonzept soll die Wartezeiten bis zu 39 % reduzieren – bei einer Kraftstoffersparnis von fast 20 %.
Dagegen sprechen die Erfahrungen, die Verkehrsreferent Olaf Koch, in Hamburg zuständig für Programmpflege und Entwicklung Lichtsignalanlage, in der City Nord gesammelt hat: „Mit der Software der verkehrsadaptiven Steuerung, die alle angeschlossenen Kreuzungen und individuelle Verkehrssituationen berücksichtigt, ließ sich das Durchschnittstempo im Spitzenverkehr um zehn Prozent auf 30 km/h steigern“. In Hamburg passieren täglich rund 90.000 Kraftfahrzeugen den Ring 2. Verkehrsplaner setzen einen Strategierechner ein, der 13 Ampelanlagen den jeweiligen Verkehrsverhältnissen anpasst. In die Fahrbahn installierte Detektoren sowie Anforderungstaster für Fußgänger und Radfahrer beeinflussen die Software. Der fließende Verkehr entlastet die Hamburger Luft deutlich: jährlich um hochgerechnet 1.300 Tonnen CO2, die 560.000 Liter Kraftstoff entsprechen. In der nächsten Ausbaustufe stößt man an die Systemgrenzen, zudem verschlingen ständige Pflege und Anpassung des Systems reichlich Zeit und Geld. Bisher lagen die Investitionen bei 2,4 Millionen Euro.
„Die CO2- und Feinstaubdiskussion verlangt künftig eine umweltorientierte Signalsteuerung im Rahmen des Gesamtverkehrsmanagements“, prophezeit Alfred Brdlik, Leiter des Arbeitskreises „Verkehrssteuerungen“ bei der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) in Köln und als Verkehrsplaner für über 500 Verkehrssignalanlagen in Mannheim zuständig. Denn in den Vorstädten können Wartezeiten für Autofahrer eher in Kauf genommen werden als im Innenstadtbereich.
Ein Fahrzeugstau im Stadtzentrum, eventuell noch vor Kindergärten oder Krankenhäusern, in engen Straßenschluchten, führt zu hohen Schadstoffbelastungen für die Anwohner – zumal sich dort aufgewirbelter Feinstaub in die Luft mischt. In den Stadtrandgebieten weht ein anderer Wind, der auch die Schadstoffe schnell weg bläst. „Pförtneranlagen in Außenbezirken müssen deshalb die Zufahrt in die City regulieren, damit dort die Fahrzeugkolonnen ungehindert durchfahren können“, fordert Alfred Brdlik. Demnächst soll dazu eine Arbeitsgruppe „Umweltorientierte Verkehrssteuerung“ bei der FSGV eingerichtet werden.
Feinstaubbelastung und Straßensperrungen für Lkw, Umweltzonen für schadstoffarme Fahrzeuge und die Klimadiskussion fordern Deutschlands Verkehrsplaner und Politiker. Abgase und Lärm schmälern die Wohnqualität potenzieller Wähler. So werden Ampeln vermehrt als verkehrsberuhigende Maßnahme und als politisches Kalkül eingesetzt. Beispielsweise planen Stadtpolitiker in Sindelfingen – auf Druck einer Bürgerinitiative – teils die Grüne Welle aufzuheben. Wohnviertel werden dadurch entlastet und aufgewertet, ortsfremde Autofahrer des Durchgangsverkehrs werden „verkehrsgünstig“ umgeleitet – und stehen im Stau.
So trifft der Autofahrer nach der grünen wieder auf die rote Welle. Diese Absicht hatte schon der Erfinder Dr.-Ing. Johannes Adolph, der am 14. Juni 1925 die Grüne Welle patentieren ließ (Patent-Nr. 439255). Laut Patentschrift sollte sie „den Wagenverkehr in den sich kreuzenden Richtungen abwechselnd mit einer Roten Ampel zum Stillstand bringen“. Und auch dies scheint heute noch der Zweck mancher Signalanlage zu sein.
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