Mediziner, Staatsanwälte und vor allem Versicherungsvorstände „leiden“ an dem Syndrom Schleudertrauma. Denn Verletzungen an der Halswirbelsäule, HWS-Syndrom oder Schleudertrauma genannt, sind die häufigsten Blessuren nach Auffahrunfällen und verursachen enorme Folgekosten. So schätzt der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, dass etwa zwei Milliarden Mark jährlich für die Behandlung von HWS-Fällen allein hierzulande anfallen. Oftmals versuchen „Unfallopfer“ ein Schleudertrauma anzumelden, um abzukassieren. Langwierige Gerichtsverfahren sind die Folge, denn Mediziner am Institut für Rechtsmedizin der Uni München haben mehr als einhundert Gutachten zu HWS-Verletzungen ausgewertet, und festgestellt, dass nur jede fünfte „Schleudertrauma-Anmeldung“ berechtigt war.
Schutz in der Rückenlehne
Eine wirksame Maßnahme zur Vermeidung von Schleudertraumata sind Schutzsysteme, die in die Rückenlehne eingebaut werden oder in die Kopfstütze. So haben zum Beispiel Autoliv und TRW Systeme mit in die Kopfstütze integriertem Airbag entwickelt. Neben solchen komplizierten Systemen, sind aber auch einige mechanische Systeme am Markt, die im Falle eines Heckcrashs, die Kopfstütze nach vorne hebeln und damit den Weg zwischen Kopf und Stütze und damit die Aufprallwucht mindern.
Ähnliche Systeme schon am Markt
So ist im Volvo S80 Autoliv`s AWS (Anti whiplash system) integriert, im Saab 9-5 Lear´s „Catchers Mitt“ und Opel setzt in Zaphira und Astra ein vergleichbares System ein. Jetzt präsentiert auch Johnson Controls, ein Schutzsystem mit dem Namen „NeckShield“ für die Kopfstütze der Vordersitze. Es handelt sich dabei um die erste komplette Eigenentwicklung von Johnson Controls in Burscheid.
Betrachtet man das „HWS-Schleudertrauma“ aus technischer Sicht, so beruhen die Verletzungen der Halswirbelsäule auf der Relativbewegung zwischen Kopf und Körper eines Insassen: beim Heckcrash schlägt der Kopf wie ein “Peitschenschlag” nach hinten gegen die Kopfstütze.
Crashsensor steuert Kopfstütze
Jan Thunnissen, Entwicklungsexperte bei Johnson Controls: „NeckShield mildert die Unfallfolgen, indem es blitzschnell die Kopfstütze nach vorne bringt und damit die Aufschlaggeschwindigkeit des Kopfes reduziert“. Das NeckShield-Modul ist drehbar im oberen Bereich der hinteren Rücksitzstruktur gelagert. Kommt es zum Unfall löst ein Crashsensor den elektrischen Impuls aus, eine Zündpille hebelt die Kopfstütze innerhalb von 20 bis 25 Millisekunden um bis zu sechs Zentimeter nach vorne – je nach eingestellter Kopfstütze.
Universität testet das System mit Schlittenversuchen
Johnson Controls hat in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Graz viele Crashversuche mit Dummies und Freiwilligen gefahren. „Bei vergleichenden Testreihen mit am Markt erhältlichen Systemen hat NeckShield am besten abgeschnitten“, erläutert Herman Steffan, Unfallforscher an der Uni Graz. Diese Heckcrashs simulierten die Unfallforscher mit zahlreichen Schlittenversuchen beispielsweise bei einer Geschwindigkeit von 15 mph. Dieser Wert reflektiert die relativ geringe Geschwindigkeitsdifferenz von rund 20 km/h, die bei einer großen Zahl von Auffahrunfällen gemessen wurde.
Günstige Indexwerte
Zur Bewertung der Verletzungsgefahr zogen die Experten den sogenannten NIC-Wert (Neck Injury Criterion) heran, ein Maß für die relative Beschleunigung zwischen Kopf und Oberkörper des Insassen. Je höher der NIC-Wert, desto größer die Gefahr eines Schleudertraumas. Ein Wert von 15 gilt noch als akzeptabel. Jan Thunnissen: „Die getesteten Systeme hatten einen Wert zwischen 12 bis 14, nur NeckShield lag bei allen Versuchen unter einem Wert von 10.“
NeckShield erstmals 2002 in Serie
Bedenkt man, dass jeder vierte Autounfall ein Heckcrash ist und drei Viertel der Verletzungen dabei Nackenverletzungen sind, erscheint die Zukunft für diese Art Schutzsysteme viel versprechend. Zumal bei einem leichten Crash nur der Zündmechanismus erneuert werden muss, bei einem schweren zusätzlich seitliche Strukturen. Johnson Controls will NeckShield erstmals im Modelljahr 2003 einsetzen, später soll das System auch in alle Fahrzeugsegmente eingeführt werden.
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