Die unsichtbare Gefahr

 

Elektrische und magnetische Felder beeinflussen die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV). Da im Elektroauto deutlich höhere Ströme und Spannungen vorhanden sind als in herkömmlichen Autos, wächst auch die Gefahr, dass sich Bauteile gegenseitig stören oder sogar ausfallen.

Schon die heutige Komfort-, Unterhaltungs- und Sicherheitselektronik erzeugt unberechenbare Szenarien. Offiziell schweigen Automobilhersteller und Entwickler, intern berichten sie über „entscheidende Störungen bei Hybridbatterien, elektrischen Sitzverstellungen oder der Servolenkung“. Künftig tritt anstelle von Verbrennungsmotor, Lichtmaschine und 12 Volt-Bordnetz in Elektro- und Hybridfahrzeugen eine Automobiltechnik, die in der Praxis nur wenig erprobt und unberechenbar ist. Schlimmstenfalls legt sie das Gesamtsystem lahm.

Solche Ursachen können vielfältig sein, liegen oft in Verbindungspunkten oder in den langen Kabelbäumen. Allein das Bordnetz eines VW-Passat umfasst rund 500 Steckgehäuse, 2000 Kontakte und 1700 Meter Kabel. Sie verhalten sich im ungünstigsten Fall verheerend. „Wir hatten bei einem Projekt das Problem, dass die Bremsanlage plötzlich ausgefallen ist“, berichtet die Berliner Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) in ihrer Kundenzeitung. Grund dafür war die Leitungsführung: Das Batteriekabel fing wie eine Antenne elektromagnetische Störungen auf.

Die Typprüfung von herkömmlichen Kraftfahrzeugen bezüglich EMV basiert auf der Richtlinie 2004/104/EG über die Funkentstörung. „Gegenüber den üblichen gestrahlten und leitungsgeführten Störaussendungs- und Störfestigkeitstests verlangt die Hybridtechnologie, der Elektroantrieb und der Hochvolt-Kabelsatz aber neue oder erweiterte EMV-Normen“, sagt Klaus-Peter Bretz, Referent bei der Deutschen Kommission für Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE). Das DKE/Komitee 767 und seine Unterkomitees UK 767.13 und 767.14 sind zusammen mit dem Normen-Ausschuss Auto des DIN zuständig für die entsprechende Koordinierung. Im „Gemeinsamen Arbeitskreis“ 767.13/14/18 werden die Aktivitäten zur „EMV, Elektromobilität“ gebündelt.

Für Maßnahmen, die mehrere Hundert Ampere EMV-mäßig absichern, ist im Auto kein Bauraum vorhanden, sie sind zudem schwer und sehr teuer. Um Störszenarien vorzubeugen, testen Zulieferer und Dienstleister die EMV der Komponenten, der Automobilhersteller prüft dann das Gesamtsystem. „Um komplette Elektrofahrzeug-Systeme nach Standards abzubilden, sind noch weitere Normen mit weltweiter Gültigkeit erforderlich“, erklärt Jörg Bärenfänger, Technischer Leiter bei EMC Test NRW in Dortmund, einem unabhängigen Prüflabor für EMV. Dann könnten auch die zahlreichen Elektroauto-Kreationen, die teils in kleinen Werkstätten gebaut werden und die elektrifizierten Exoten aus Fernost, sicher und elektromagnetisch verträglich betrieben werden. Bisher hätten die von der EMC getesteten Fahrzeuge europäischer Hersteller messtechnisch aber noch immer den Anforderungen entsprochen.

Derzeit wird die EMV-Normung nur auf Antriebs- und Gesamtsystemseite betrachtet. Dies bedeutet: Prüfung unter definierten Zuständen und Anpassen der Störfestigkeit und Feldstärke an die aktuelle Technik. Tests werden aber noch ohne Prüfmodus „Last“ gefahren. Dabei sind gerade unter Last höhere Emissionswerte bei elektrischen Antrieben und Leistungskomponenten zu erwarten.

Und auch bei einer induktiven Ladung stehen große technische Herausforderungen an, denn bei der Energieübertragung zwischen Ladeeinheit und Fahrzeug entstehen im Luftspalt zwischen den beiden Spulen sehr hohe magnetische Feldstärken. Zudem sollen Elektrofahrzeuge künftig sogar an elektrfizierten Leitplanken ohne Steckerkontakt auftanken. „Das ist für Fahrzeughersteller Neuland und muss in einschlägige Normen eingebunden werden“, betont Prüfingenieur Bärenfänger. Sie müssten daher extrem sorgfältig und umsichtig geplant werden. Anderenfalls habe man ein jahrzehntelanges Problem, was letztlich für Automobilhersteller immense Kosten verursachen könne. 

„Die Erweiterung der Prüfmethoden sollte in Erwägung gezogen werden“, stellt auch die Nationale Plattform Elektromobilität zurückhaltend in ihrem Zwischenbericht fest. Politik und Autoindustrie erwecken den Eindruck, der Durchbruch stünde unmittelbar bevor. Doch die übergreifende Zusammenarbeit der Normengremien hakt. Insider berichten zwar von Absprachen in verschiedenen Ebenen, danach würde sich aber „tot diskutiert“. Die festen Positionen beispielsweise von Automobilherstellern und den in der Automobilindustrie neu agierenden Energieversorgern binden demnach viel Personal und Zeit.

„Bis zum Jahre 2014 könnte die Normgebung in Bezug auf die Begrenzung der Störaussendung durch induktives Laden abgeschlossen sein“, hofft dennoch Normierungsexperte Klaus-Peter Bretz. Für weitere Regelungen zur EMV sei noch kein Zeitrahmen erstellt. Denn Standards müssen auf internationaler Ebene mit Normungsorganisationen wie IEC (Internationale Elektrotechnische Kommission), CISPR (Internationales Sonderkomitee für Funkstörungen) und ISO (Internationale Organisation für Normung) abgestimmt werden.

Die Zeit verrinnt: Nach dem Elektromobilitätsprogramm der Bundesregierung sollen 2020 rund eine Million Elektroautos hierzulande fahren, bis dahin dominieren Hybridfahrzeuge. Deren Batteriespannungen liegen bei 400 Volt und mehr. Aufgrund großer Leistungen sind Dauerströme von einigen Hundert Ampere zu erwarten. Spannende Aussichten für die Zukunft.

EMV im 12 Volt-Bordnetz

Die herkömmliche EMV des Kraftfahrzeugs bezieht sich auf Störfestigkeit und Funkentstörung, die in der Vergangenheit auf der allgemeinen Funkempfangstechnik basierte. Anforderungen im klassischen 12 V-Bordnetz deckte der Gesetzgeber mit der Übernahme der Europäischen Richtlinie 2004/104/EG ab, zuletzt ergänzt durch die Richtlinien 2005/49/EG, 2005/83/EG, 2006/28/EG und 2009/19/EG in Verbindung mit ECE-R 10 und CISPR und ISO Normen. Elektrische oder elektronische Geräte dürfen demnach weder das Fahrzeug noch eingebaute Geräte, insbesondere mit sicherheitsrelevanter Funktion, und Funk- und Telekommunikationsanlagen in ihrer Funktion stören. 

Batterie birgt Störpotenzial

Herausragende Komponente in elektromotorisch betriebenen Fahrzeugen ist die Lithium-Ionen-Hochleistungsbatterie. Bei Systemspannungen von mehr als 400 Volt können hohe elektrische Feldstärken auftreten. Einerseits ist die Li-Ion-Batterie Absender von Störemissionen, andererseits kann sie im Hochvoltbordnetz auch „Opfer“ werden. Derzeit liegen nur wenig Erfahrungen dazu vor. Um das EMV-Problem zu entschärfen, installiert man deshalb oft Umrichter, Wandler und Nebenaggregate im Motorraum; die Traktionsbatterien und deren Überwachung finden unter der Rückbank oder im Kofferraum Platz. Gut abgeschirmte Hochvoltleitungen sichern zusätzlich die Systeme ab.

 

Arbeitskreise für Prüfverfahren bei E-Autos

DKE/AK 767.13.5-EMV von Halbleitern

DKE/AK 767.13.6-EMV in 42-V-Bordnetzen

DKE/AK 767.13.11-Kernteam

DKE/AK 767.13.12-Störfestigkeit von Fahrzeugen und Fahrzeugkomponenten

DKE/AK 767.13.13-Impulse

DKE/AK 767.13.14-ESD

DKE/GAK 767.13.18-EMV Elektromobilität

(Quelle: DKE)

 

Hochvolt-Bordnetz ist gefährlich

Wie automobiler Starkstrom zulangen kann, weiß man seit jenem Unfall 2008 in der hoch technisierten Formel 1: Beim Berühren der Karosserie eines mit dem Energie-Rückgewinnungssystem KERS (kinetic energy recovery system) ausgerüsteten Rennwagens, wurde ein BMW-Mechaniker beim GP in Jerez in der Boxengasse zu Boden geworfen. Grund soll ein Konstruktionsfehler im Hochvoltsystem gewesen sein. Die gleiche Gefahr wie im Motorsport besteht nach Ansicht von Experten aber grundsätzlich bei jedem elektrobetriebenen Fahrzeug. Denn eine Pkw-Stahlkarosserie ist ebenso leitfähig wie Kohlefaserverbundstrukturen von Rennfahrzeugen.


Kommentare

Eine Antwort zu „Die unsichtbare Gefahr“

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