E-Volksauto kommt aus Aachen

Deutschland will zum Leitanbieter Elektromobilität werden und gerät immer mehr unter Druck: Die chinesischen Programme, sowie die großen Stückzahlen japanischer Hybridfahrzeughersteller seien „eine ernste Gefahr beziehungsweise ernste Konkurrenz für den deutschen Anspruch“, resümierte die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) in ihrem ersten Zwischenbericht.

Mit einem radikalen Umdenken, an dessen Ende revolutionäre Werkstoffe und neue Produktionsprozesse stehen sollen, entwickelt dagegen ein Konsortium aus Wissenschaft und Industrie in Aachen ein völlig neues Volks-Elektroauto – für die Großserie.

Mit neuen Produktionstechnologien und Fahrzeugkonzepten und einem Finanzvolumen von 574 Millionen Euro plant ein Netzwerk aus namhaften mittelständischen Automobilzulieferern und der RWTH Aachen ein Elektro-Volksauto für den Stadtverkehr, den StreetScooter.

Vertreter der Technischen Hochschule sind beispielsweise das Werkzeugmaschinenlabor (WZL), das Institut für Kraftfahrzeuge (ika), für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe (ISEA) oder für Elektrische Maschinen (IEM). Die Gesamtentwicklung koordiniert und realisiert die neu gegründete StreetScooter GmbH. Dazu gehören auch die Töchter StreetScooter Research und Production.net, ein Zusammenschluss von neun kleineren Mittelständlern aus NRW.

Im StreetScooter ersetzt man nicht nur einfach den Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor. „Die StreetScooter-Produktion weicht von herkömmlichen Ansätzen ab und setzt auf ein sicheres Leichtbaufahrzeug im Purpose-Design, das von Grund auf neu ist“, sagt Achim Kampker, Professor am Lehrstuhl für Produktionsmanagement der RWTH und kaufmännischer Geschäftsführer der Gesellschaft. Im Gegensatz zum Conversion Design, bei dem ein konventionelles Serienmodell auf Elektroantrieb umgerüstet wird, entwickelt man, wie vor mehr als einhundert Jahren üblich, ein völlig neues Elektrofahrzeug. Neue Antriebsstrangkonzepte sollen ein optimales Packaging ermöglichen. Achim Kampker ist sich sicher: „Eine signifikante Kostenreduzierung in Höhe von etwa 30 Prozent ist mit dem Purpose-Design-Ansatz möglich.“

Für die StreetScooter-Fertigung wird das starre Linienkonzept der konventionellen Fahrzeugmontage verlassen: Man fertigt Module, die in umfangreichen Vormontagen hergestellt und in einer schnellen Endmontage auf einer Plattform zusammengefügt werden. Aus Vorderwagen, Fahrgastzelle vorne und hinten und Heckmodul sollen sich aus dem Baukasten problemlos bis zu sechs Karosserievarianten fertigen lassen, gestartet wird mit einem StreetScooter-3+1-Sitzer. Von den Maßen her liegt das Stadtfahrzeug zwischen Smart Fortwo und Toyota IQ.

Derzeit laufen auf dem Aachener Campus die Arbeiten auf Hochtouren. Bis zur IAA soll ein Prototyp fertig sein, der erste Einblicke in die Technik gewährt und das Design des Elektroautos zeigt. Läuft alles planmäßig, ist 2014 die Serienfertigung mit etwa 10.000 Fahrzeugen geplant – nach Ansicht von Analysten eine sehr optimistische Prognose. Große Automobilhersteller sind bewusst nicht am Projekt beteiligt, um die Produktspezifikation frei denken zu können. Mit der Markteinführung werde die Hochschule aber aus dem Projekt aussteigen.

Für die Großserie hat die StreetScooter-Gesellschaft schon Partner im Blick, beispielsweise den niederländischen Autohersteller NedCar, der im 30 Kilometer entfernten Born seine Fertigungsstätte hat. Praktisch, denn dort – dem einzigen niederländischen Autowerk – baute einst Mitsubishi Fahrzeuge und Smart den Forfour, heute laufen dort noch Colt und Outlander vom Band.

Spannend die Antwort auf die Preisfrage: „Nur 5.000 Euro ohne Mehrwertsteuer kostet der StreetScooter bei Großserienfertigung“, rechnet Produktionsexperte Kampker, „dazu kommt der Batteriesatz.“ Der soll in einem Leasingverfahren für 8000 Euro angeboten werden. Weitere Modalitäten sind noch nicht bekannt.

Die beteiligten Industrieunternehmen investieren nicht nur in Entwicklung und Material, sondern bringen auch Kapital mit und liefern letztlich die fertigen Module für den StreetScooter. Zahlreiche Industriepartner arbeiten in neun LEGs (Lead-Engineering-Groups), die beispielsweise für Karosserie, Sicherheit oder Speichersysteme zuständig sind. Die Speicherzellen für die Batterie kommen vom Spezialisten O.M.T. aus Lübeck. Das Batteriekonzept sei schon fertig. „Mit dem aktuellen Stand können wir das erreichen, was wir wollen“, sagt Kampker. Strategischer Partner ist auch die Behr-Hella Thermocontrol (BHTC), verantwortlich für das Klima.

Die württembergische Wittenstein AG liefert den elektrischen Antriebsstrang. Welche elektromobile Antriebstechnik aus deren Baukasten möglich ist, zeigte man kürzlich auf der Hannover Messe. Entwicklung, Fertigung und Integration elektrischer Antriebstechnologie scheinen bei Wittenstein weit gereift. Auch die Karosseriespezialisten Kirchhoff und Gedia aus dem Sauerland sind beteiligt, sowie Bielstein mit der Herstellung von Stoßdämpfern und Federungssystemen, Dräxlmaier mit dem Bordnetz und ZenTec Automotive mit Kunststoffanbauteilen.

Jüngster Gesellschafter und Spezialist für Vertriebskonzepte ist die Unternehmensgruppe Athlon Car Lease (ACL) aus Meerbusch, die zur niederländischen Rabobank gehört. Der Autoverleiher wird damit der erste internationale Anbieter von Fahrzeug-Leasing und Elektromobilität. Gerade als Flottenbetreiber kann man über eine kurze Haltedauer einen Gebrauchtwagenmarkt für Elektroautos fördern – und damit ebenfalls die Marktdurchdringung für den StreetScooter.

Daten zur Batterie

Bei einem Fahrzeuggewicht von nur 1.000 Kilogramm ist das Batteriegewicht des StreetScooters auf rund 250 Kilogramm kalkuliert (E-Golf hat 315 kg Batteriegewicht). Je nach Variante müssen die Batterien zwischen 11 und 30 Kilowattstunden (kWh) leisten. Die Elektromotoren im Heck leisten entsprechend 30 kW oder 50 kW. Dank des konsequenten Leichtbaus soll dann eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h bei bis zu 130 Kilometer Reichweite möglich sein. Grundlage der Berechnung ist das bekannte Mobilitätsprofil: Rund 90 Prozent aller Alltagsfahrten sind kürzer als 70 Kilometer. 8000 Euro sind für die Batterie kalkuliert. Knapp, wie es scheint, denn Materialkosten, Entwicklung, und Produktion müssen erbracht werden. Langzeitwerte zu Lebensdauer oder Wintertauglichkeit bei Elektroautos fehlen noch.

StreetScooter – So erfolgreich wie Swatch?

„Mit der Durchschlagskraft, die einst Computerfirmen auf dem Weltmarkt erfolgreich machte, wird sich der StreetScooter etablieren“, hofft Professor Kampker. Sein Konzept erinnert etwas an die Geschichte des kürzlich verstorbenen Nicolas Hayek (Vater des Smart), der mit der Swatch-Uhr Welterfolg erreichte. In den 1970er Jahren, als japanische Unternehmen die Welt mit billigen Quarzuhren überschwemmten und damit den Markt für Analoguhren bedrohten, machte sein Konzept einer vollintegrierten Produktionstechnik für unterschiedliche Größen und Funktionen die Swatch-Uhr möglich – die Swatch-Group ist heute der größte Uhrenkonzern der Welt.


Kommentare

Eine Antwort zu „E-Volksauto kommt aus Aachen“

  1. Ich entschuldige mich aufrichtig für diesen Kommentar! Aber ich teste einige Software zum Ruhm unseres Landes und ihr positives Ergebnis wird dazu beitragen, die Beziehungen Deutschlands im globalen Internet zu stärken. Ich möchte mich noch einmal aufrichtig entschuldigen und liebe Grüße 🙂

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