Parkplatzpiraten auf der Autobahn

Heiße Nächte für Trucker auf der A 3: zwischen Spessart und Steigerwald haben es Diebesbanden auf deren Ladung abgesehen. Bei Geiselwind schlitzen sie Lkw-Planen auf und nehmen 300 Flachbildschirme im Wert von rund 30.000 Euro mit, einige Wochen zuvor hatten sie schon bei Rohrbrunn aus mehr als einhundert Lkws Ware für 100.000 Euro gestohlen.
Fast Zeitgleich schlagen Planenschlitzer mehr als zehn Mal entlang der A44 und der A2 („Warschauer Allee“) zu. Kripo, Autobahnpolizei und Trucker sind sich sicher: Hier eskaliert eine neue Verbrechensform, die Parkplatzpiraterie.

„Einfach, aber brutal, keine Regeln, keine Ethik und sehr gut organisiert“, so beschreibt Sicherheitsexperte Thorsten Neumann, Vorsitzender der Transported Asset Protection Association (Tapa), einem internationalen Zusammenschluss von mehr als 800 Firmen und Organisationen aus dem Frachtverkehr, den Tätertyp Parkplatzpirat. Tapa will europaweit den Frachtverkehr sicherer machen.
Eine Studie des EU-Parlaments zählt in den Mitgliedstaaten jährlich rund 90.000 Angriffe auf Fahrer oder Fahrzeuge – in fast 57.000 Fällen vergreifen sich die Täter an der Ladung. Besonders erfolgreich sind Planenschlitzer. Immer nach der gleichen Masche kundschaften sie tagsüber sorgfältig aus: Ein halbmondförmiger Schnitt in die Plane, die Ladung sichten, gegebenenfalls Fahrzeugkennzeichen notieren. Nachts, wenn die Trucker schlafen, kehren sie mit Lieferwagen zurück, reißen die Plane ganz auf und rauben die Lkws aus – meist auf schlecht beleuchteten Plätzen.
Frank Federau, Erster Kriminalhauptkommissar beim LKA Niedersachsen, weiß: „Deutschland liegt als Transitland im Visier der Schieber.“ Nirgendwo in Europa sind mehr Lkw unterwegs als auf deutschen Straßen. Die hohe Fahrzeugdichte und Tausende von schlecht beleuchteten Abstellplätzen locken Diebesbanden geradezu an.  Pech hatten Schlitzer allerdings kürzlich auf der mainfränkischen A3 als sie 70 Kaffeeautomaten im Gesamtwert von rund 25.000 Euro mitgehen ließen. Denn Zeugen beobachteten ihren hellen Mercedes Sprinter mit polnischem Nummernschild. Die schnelle Fahndung per Hubschrauber blieb zwar erfolglos, die Polizei vermutet dahinter aber organisierte Banden mit ausgeklügelten Hehlerstrukturen und hohen Gewinnmargen. „Hierzulande summieren sich Lkw-Ladungsdiebstähle jährlich auf rund 1,5 Milliarden Euro“, sagt LKA-Mann Federau.

Insgesamt beläuft sich der Wert gestohlener Ware in den Mitgliedsstaaten auf mehr als 8,2 Milliarden Euro.  Das höchste Gefahrenpotenzial bergen nach Erkenntnissen der Tapa Transporte in Großbritannien, Belgien und Spanien. Über die Grenzen arbeitet man mit Ermittlungsbehörden zusammen und weiß, dass hauptsächlich osteuropäische Banden zuschlagen, vielfach aus Rumänien. 

So fasste Ende Februar auch die spanische Guardia Civil zehn Rumänen, die für fast 50 Ladungsdiebstähle landesweit verantwortlich sind. Flachbildschirme, Handys und Parfüm standen auf der Klauliste. Filmreif setzten sie sich nachts auf der Autobahn vor einen Lkw und bremsten ihn ab. Ohne Licht folgte ganz dicht ein Pick-up. Von dessen Motorhaube sprang ein Täter ans Heck, gurtete sich an und öffnete die Ladeklappe. Während der Fahrt reichte er die Kartons an seine Kumpanen weiter, bis die Ladefläche leer war.

Trotz solch drohender Hollywood-Szenen hat Thorsten Neumann, der auch beim Handyhersteller Nokia für Transport- und Sicherheitsfragen zuständig ist, mit seinen Konzepten Erfolg. Kriminelle Vorfälle werden analysiert, Kontakte zu internationalen Strafverfolgungsbehörden gepflegt und den Speditionen Karten mit sicheren Routen ausgehändigt. „So ist es uns gelungen, bei Nokia in nur zwei Jahren die Frachtdiebstähle um fast drei Viertel zu reduzieren“, sagt Tapa-Chef Neumann.

Perfekt funktioniert auch das niederländische Projekt „Secure Lane“, nachdem dort im Jahre 2009 Ladung im Wert von rund 360 Millionen Euro gestohlen wurde. An den Rastanlagen der Achse  Ruhrgebiet-Rotterdam installierte man rund einhundert Kameras. Da die Diebesbanden meist mit kleinen Erkundungsfahrzeugen auf den Parkplätzen unterwegs sind, werden verdächtige Bewegungsmuster inklusive der Nummernschilder per Software ausgewertet und Verdächtige der Polizei in der Eindhovener Zentrale gemeldet. Sie schaltet sich auf die Überwachungsbilder und greift dann ein. Erfolgreich, jedenfalls aus holländischer Sicht: Die Schlitzerbanden operieren jetzt vermehrt im Ruhrgebiet. (Kleiner Kasten I)

Doch absoluter Hot Spot bleibt für Frachtdiebe England, wo sie ein erfolgreiches Spiel betreiben. Besonders beliebt ist das  „around-the-corner-game“: Bandenmitglieder in Security-Westen fangen einen ankommenden Lkw ab, delegieren ihn „um die Ecke“ zu einem falschen Abladeterminal und verstauen dann „aus Zeitgründen“ die Fracht direkt auf einen wartenden Lkw. Meist bedient man sich dabei noch der Arbeitskraft des ahnungslosen Fahrers. The winner takes it all.

Schlitzer im Ruhrgebiet

Derzeit schwappt eine neue Schlitzerwelle aus den Benelux-Ländern nach Nordrhein-Westfalen, wo allein im belgisch-deutschen Grenzgebiet täglich rund 20.000 Lkw über die Autobahn rollen. Eine Statistik des Landeskriminalamtes zählt beim Delikt „Ladungsdiebstahl“  274 Fällen im Jahre 2009, allerdings 370 im letzten Jahr. Kripo und Staatsanwaltschaft Köln konnten mit ihrer Ermittlungsgruppe „Cut“ innerhalb weniger Monate 56 Fälle einer dreiköpfigen Bande aufgeklärt. Ihr Strafmaß: 3 Jahre, 6 Monate, 2 Jahre 9 Monate, der dritte Täter ist noch flüchtig.

Sicherheitsparkplätze bringen wenig

Ein EU-Pilotprojekt will europaweit 200 sichere Lkw-Parkplätze bauen. In Deutschland stehen der Uhrslebener Parkplatz an der A2 bei Magdeburg und der an der A 7 bei Würzburg zur Verfügung. Nur 30 bis 50 Lkw monatlich parken dort.

 Autobahndaten

In Deutschland 12.700 Kilometern Autobahn mit ihren etwa 600 Tank- und Rastanlagen und mehr als 21.000 Lkw-Stellplätzen. Jährlich 24.000 registrierte Taten auf ungesicherten Parkplätzen.

Organisierte Kriminalität

In Rumänien wurde kürzlich ein Fall gelöst. Ein „Transportunternehmen“ war nur dazu gegründet worden, Ladungen in Deutschland aufzunehmen und schnellstens nach Rumänien zu bringen und zu verkaufen – bevor der Verlust vom Absender oder Empfänger bemerkt wurde.